Von Adolf Winkler | 20.18 Uhr, 19. Jänner 2020
Im Vorjahr bekannten sich die CEOs rund 200 großer US-Konzerne zum Unternehmensziel Nachhaltigkeit. Nun ist es Thema am Weltwirtschaftsforum in Davos. Heuchelei oder Umdenken?
RENÉ SCHMIDPETER: Bereits das Manifest der US-Topmanager hat weltweit eine große Publicity erreicht. Es ist aber keine Selbstverständlichkeit, dass die CEOs der größten Unternehmen der Welt sich so klar dazu bekennen, nicht mehr dem Shareholder Value zu huldigen, sondern ihren Unternehmen andere Ziele vorschreiben.
Was bedeutet für den Wandel der auch in Davos ins Zentrum gerückte Begriff der Stakeholder?
Es bedeutet, dass nicht mehr nur das Interesse der Eigentümer, der Aktionäre im Mittelpunkt steht, sondern auch, dass Mitarbeiter fairen Lohn bekommen, Kunden qualitative Produkte und dass die Gesellschaft als Ganzes profitiert. Das ist ein Wandel vom Effizienzdenken zum Effektivitätsdenken, wo man unternehmerischem Handeln einen Sinn zuschreibt.
Ist das ein Paradigmenwechsel oder nur ein Nachgeben unter dem Druck der Bedrohung des Globus für einen ebenso ressourcenraubenden Kapitalismus mit einem Schuss Nachhaltigkeit?
Es ist nicht ein Bekenntnis gegen den Kapitalismus, sondern ein marktwirtschaftliches Modell mit Sinn. Es geht darum, die Märkte dafür zu nutzen, tatsächlich positiven gesellschaftlichen Impact zu generieren. Dazu müssen sich die Unternehmen völlig neu orientieren, nicht mehr nur finanziellen Mehrwert zu erzielen, sondern das Ganze so zu betreiben, dass auch die Gesellschaft und die Umwelt davon profitieren.
Bei den Teilnehmern in Davos sind Unternehmen dabei, die ihre Gewinne zu erheblichem Teil durch Steuerumgehung erzielen. Ist das dann nicht fadenscheinig?
Es ist eine gesellschaftliche und politische Gesamtgrundhaltung entstanden, die von der Wirtschaft verstärkt einfordert, dass sie sich an den Lösungen der sozialen Herausforderungen und des Klimawandels aktiv beteiligt. Einerseits ist das ein Zeitgeist, der das den Unternehmen abverlangt. Anderseits gibt es auch immer mehr Gruppen, die nur noch den Unternehmern zutrauen, diese Herausforderungen auch mit Lösungen zu bewältigen.
Das existenzielle Thema Klimawandel dehnt den Begriff Nachhaltigkeit weiter, als ein bisschen umweltschonender zu handeln?
Auf jeden Fall. Nachhaltigkeit, früher ein ökologischer, also grüner Begriff, hat eine neue Bedeutung bekommen. Mittlerweile versteht man unter Nachhaltigkeit auch soziale und ökonomische Verantwortung. Das löst gerade auch den Paradigmenwechsel aus. Dass es nicht nur gilt, die Klimakrise zu bewältigen, sondern dass das ökonomische System als Ganzes an seine Grenzen stößt und somit auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit immer mehr gefährdet ist. Wie man an der abflauenden Konjunktur merkt, geht es nun darum, neue Märkte der Zukunft zu schaffen. Und es ist völlig klar, dass diese nur darin liegen können, die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unternehmerisch zu meistern. Nachhaltigkeit ist aus der rein ökologischen Nische heraus, es geht nun um eine ganzheitliche Perspektive für unseren Planeten.
Früher hieß es, Nachhaltigkeit muss man sich mit Gewinnen leisten können. Jetzt drehen Sie es um, dass Nachhaltigkeit notwendig ist, um in Zukunft überhaupt Gewinne zu machen?
Nur Unternehmen mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell werden in Zukunft Gewinne machen. Neue wissenschaftliche Studien zeigen es sehr deutlich, dass Unternehmen, die keine gesellschaftlichen Leistungen erbringen und in der Vergangenheit hohe Gewinne hatten, ihre Geschäftsmodelle durch Widerstand der Kunden oder der Politik aufgeben oder ändern müssen. Ein klassisches Beispiel ist die deutsche Automobilindustrie, die sehr erfolgreich war, aber nun aufgrund von Umweltauflagen hin bis zu Elektroquoten in China, aber auch verändertem Kundenbewusstsein mit ihren Geschäftsmodellen leidet. Letztendlich ist es ein direkter Ausfluss dessen, dass ökologische Herausforderungen und gesellschaftliche Bedürfnisse nicht hinreichend in den Geschäftsmodellen mitgedacht wurden. So wird die ökologische Herausforderung immer mehr auch eine wirtschaftliche Überlebensfrage.
Neoliberalismus-Papst Milton Friedmans Paradigma, dass Gewinn alles sei, geht so zu Bruch?
Friedman meinte, dass die Märkte hocheffizient seien und dass die Unternehmen ihre Mittel möglichst effizient einsetzen sollen, um maximalen Output zu erreichen. Dieses klassische Effizienzdenken kann gelten, wenn die Welt sich in stabilem Zustand bewegt. Effizienz bleibt wichtig, aber das unternehmerische Ziel ist die Effektivität. Darin besteht das Umdenken: Effizienzstreben ohne Zweck gibt keinen Sinn mehr.
René Schmidpeter (41), gebürtiger Osttiroler, ist Experte für Strategisches Management, Unternehmenstransformation und Globale Nachhaltigkeitsentwicklungen. Er lehrt Internationale Wirtschaftsethik und CSR an der Business School Cologne, Köln und leitet das dortige Center for Advanced Sustainable Management. Mitbegründer von M3TRIX GmbH in Köln.
Davos erwartet vom 21. bis 24. Jänner 3000 Teilnehmer mit 53 Staats- und Regierungschefs zum 50. Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums. WEF-Gründer Klaus Schwab gab das Thema „Stakeholder für eine solidarische und nachhaltige Welt“ vor. Ende 2019 hat er das 1973 veröffentlichte Davoser Manifest neu gefasst. „Ein Unternehmen setzt sich dafür ein, Garant des ökologischen und materiellen Universums der Zukunft zu sein.“ Es diene allen Interessengruppen und nicht nur Aktionären.